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Badische Anzeigen-Zeitung, 16.8.00

Internationaler Wirtschaftstransfer einmal anders: Ein türkischer Hersteller investiert in Deutschland

Fahrzeughersteller eröffnet Werk am Niederrhein - ausländische Unternehmen haben unser Warenangebot um ein Vielfaches bereichert

Karlsdorf-Neuthard. Wenn es um unsere ausländischen Mitbürger geht, sind eine ganze Reihe sattsam bekannter Vorurteile im Umlauf. Über den meisten Stammtischen kreist in der Diskussion irgendwann unweigerlich die Meinung, Ausländer würden Deutschen Arbeitsplätze weg nehmen. Dass dem nicht so ist (es sei denn, jemand mag tatsächlich für einen Hungerlohn und unversichert in einer Baukolonne arbeiten), zeigt das Engagement eines türkischen Herstellers in Deutschland.

Vor rund eineinhalb Jahren zum Beispiel eröffnete der türkische Hersteller Tirsan Trailer eine Aufliegerfabrik im niederrheinischen Goch, wo heute 150 Mitarbeiter beschäftigt sind, Tendenz steigend.

Vor 20 Jahren gegründet, ist Tirsan Trailer heute mit einem Marktanteil von 70 Prozent der größte Anhängerproduzent in der Türkei. Das wichtigste Produkt von Tirsan in Goch ist der Schiebeplanen-Auflieger. Er macht über 90 Prozent des Fertigungsbaus aus und ist eine deutsche Konstruktion. Daneben wird eine ganze Palette an Auflieger-Modellen hergestellt. Alle Komponenten sind gängige deutsche und internationale Markenprodukte.

Das türkische Mutterunternehmen will konsequent weiter in die neue Fabrik auf der grünen Wiese investieren. Bislang sind 15 Millionen Mark in die Baumaßnahmen geflossen. Kürzlich wurde auf dem 54.000 Quadratmeter großen Arenal das neue Verwaltungsgebäude in Betrieb genommen.

Im Jahr 2001 werden neben der Montagehalle zwei weitere je 10.000 Quadratmeter große Hallen entstehen. Im Endausbau werden dann 60 Millionen Mark in die gesamte Anlage geflossen sein. Möglich ist dann eine Produktion von 1.500 Einheiten pro Jahr.

Tirsan fertigt heute in allen Werken rund 3.000 Anhänger und Auflieger pro Jahr, für Stückgut-, Textil- und Kühltransporte, außerdem gehören Fahrgestelle für Container und Behälter zum Programm.

Fester Platz in der deutschen Wirtschaft

Der Vertrieb in Baden-Württemberg wird von HMF Fahrzeughandel, Geschäftsführerin Ebro Baz und Geschäftsführer Dipl.-Ing. Martin Staiger, übernommen, gegründet als Kooperationsunternehmen der Staiger Nutzfahrzeuge GmbH in Karlsdorf-Neuthard und der internationalen Spedition BAZ. In Zukunft wird man wohl die Tirsan Trailer wesentlich öfter auf deutschen Straßen sehen können.

Ob Großunternehmer oder als kleiner Pizzabäcker, ob als mittelständischer Spediteur oder Gemüsehändler - die Selbständigen aus dem Ausland haben heute einen festen Platz in der deutschen Wirtschaft. Zahlen des Institutes für Wissenschaftliche Datenverarbeitung (IWD) der Uni Bremen zufolge stammt fast die Hälfte der ausländischen Firmenchefs aus den drei großen ehemaligen Anwerbestaaten: knapp 25 Prozent aus der Türkei, rund zwölf Prozent aus Italien und etwa acht Prozent aus Griechenland.

Zusammen mit ihren Kollegen aus dem übrigen Ausland führten sie nach einer zuletzt im Jahr 1997 veröffentlichten Erhebung mehr als 281.000 Betriebe in Deutschland, das waren gut sechs Prozent aller hier registrierten Unternehmen.

Das Gastgewerbe ist der Spitzenreiter

Die meisten ausländischen Firmenchefs (84 Prozent) betreiben ein Kleingewerbe - damit stellen sie knapp neun Prozent aller Kleingewerbebetreibenden in Deutschland. Die übrigen (16 Prozent) firmieren als Kapitalgesellschaft oder als Einzelkaufmann.

Unangefochtener Spitzenreiter unter den Service-Branchen ist das Gastgewerbe. Fast jeder dritte der bei den IHK registrierten ausländischen Betriebe verdient sein Geld damit.

Was die Gaumenfreunden angeht, sind Griechen und Italiener besonders aktiv: Vor jeweils gut der Hälfte ihrer Betriebe in Deutschland hängt das Schild Taverne oder Ristorante.

Die Deutschen selbst dagegen überlassen das Gastgewerbe lieber den Zugereisten: Ganze sieben Prozent aller heimischen Betriebe kümmern sich um das leibliche Wohl von Reisenden, Feinschmeckern und Kneipengängern.

Beim Handel bieten sich heimische und ausländische Betriebe dagegen Paroli: Jeweils rund ein Drittel der Unternehmen hat sich aufs Verkaufen spezialisiert. Das gilt auch für die Türken: Fast jeder dritte Unternehmer vom Bosporus verdient sein Geld in Deutschland als Einzelhändler. Bei den Handwerkskammern waren allein bis 1997 rund 32.800 ausländische Firmen gemeldet, das waren rund vier Prozent aller in Deutschland gezählten Handwerksbetriebe. Allerdings gehören nur rund 44 Prozent der ausländischen Handwerker dem Vollhandwerk an, dürfen also auch Lehrlinge ausbilden - allen anderen fehlt dazu der Meisterbrief. Von den deutschen Handwerksbetrieben haben dagegen 83 Prozent diese Qualifikation.

Allein türkische Firmen stellen 200.000 Arbeitsplätze

Die beliebteste Branche unter den ausländischen Handwerkern in Deutschland ist das Bau- und Ausbaugewerbe - mehr als jeder Dritte arbeitet dort.

Es folgen die Bereiche Bekleidung, Textil und Leder (20 Prozent) sowie das Elektro- und Metallgewerbe (16 Prozent). Auch aus Sicht der einzelnen Nationalitäten gibt es bestimmte Vorlieben: So betreiben mehr als die Hälfte der griechischen und rund 40 Prozent der türkischen Handwerker kleine Änderungsschneidereien.

Italienische Handwerker in Deutschland haben dagegen vor allem in den heißen Sommermonaten Konjunktur: Gut jeder dritte Italiener steht hinter dem Tresen einer Eisdiele.

Die meisten spanischen und portugiesischen Handwerker in Deutschland haben dagegen einen Meisterbrief in der Tasche und sind in fast allen Gewerben vertreten.

Und das Engagement der "Fremdunternehmer" in Deutschland macht sich auch bei der Beschäftigung bemerkbar: allein die türkischen Firmen sorgen für über 200.000 Arbeitsplätze.